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«Hier an der Hotline sitzen nicht lauter Dr. Dr.»

Interview mit Andrin Pescatore, Zertifizierer / Leiter Ausbildung bio.inspecta AG

Interview mit Andrin Pescatore, Zertifizierer / Leiter Ausbildung bio.inspecta AG

bio.inspecta betreibt eine telefonische, mehrsprachige Hotline. Sie ist für die angemeldeten Betriebe. Es rufen aber auch andere an sowie Bioberater und Futtermittelhersteller. 

Einen heissen Draht von bio.inspecta gibt es für die Landwirtschaft und einen für Verarbeitung und Handel. Dies auf Deutsch, Italienisch und Französisch (Anrufe gehen nach Etagnières VD zu bio.inspecta Romandie). In Frick AG nimmt Andrin Pescatore als einer von vier Mitarbeitenden die Anfragen der Bäuerinnen und Bauern entgegen. Er ist selbst gelernter Landwirt und Agrartechniker HF. Bei bio.inspecta ist er ausserdem für die Aus- und Weiterbildung der 90 Kontrolleurinnen und Kontrolleure zuständig, zertifiziert Betriebe und kontrolliert vereinzelt Spezialbetriebe wie Grossimkereien. Im Gespräch hört man seine Begeisterung für die landwirtschaftliche Praxis.  

Haben Produzentinnen und Produzenten so brennend dringende Fragen, dass es eine Hotline braucht?

Das kann es geben. Vielleicht steht übermorgen die Biokontrolle an und die Suisse-Bilanz ist noch nicht gemacht. Oder jemand ersteigert gerade eine konventionelle Kuh und ist nicht sicher, ob er überhaupt Aussichten auf eine Ausnahmebewilligung hat. Ziemlich brennend also (lacht).

Gibt es eine Art Saisonalität bei den Fragen?

Für die Menge der Anfragen ist das Wetter der entscheidende Faktor. Du kannst morgens aus dem Fenster schauen. Bei Regen sind wir bis zu acht Stunden nonstop am Telefon. Bei Sonnenschein sind alle draussen beschäftigt und es klingelt viel weniger. Im Herbst rufen vor allem Neuumsteller an. Gegen Jahresende sind es Fragen zu Rechnungen, weil sie die Buchhaltung «büschelen». Von Januar bis März / April kommen viele Fragen zu den Richtlinienneuerungen und zur Vorbereitung für die Biokontrolle, zu der wir rechtzeitig unsere Checkliste verschicken. Im Frühling und Sommer sind die Frage sehr divers. Es geht von der Zulässigkeit von Siliermittel bis hin zu Vorgaben für Bauprojekte.

Wer ruft an?

Fachfragen kommen eher von Männern, finanzielle oder organisatorische Fragen vor allem von Frauen. Bei der älteren Generation macht oft noch immer die Bäuerin das Büro und der Mann ist im Stall. Die Büroarbeit wird zu Unrecht etwas belächelt. Ich bin mir sehr sicher, es würde vieles nicht funktionieren, wenn die Frau die Büroarbeit nicht mehr erledigen würde. Oft hat zum Beispiel sie die Tierverkehrsdatenbank im Griff.

Sie bieten einen kostenlosen Biobetriebscheck an. Ist Ihre Hotline also auch Erstkontakt für Betriebe, die sich überlegen, auf Bio umzustellen?

Das kommt vor. Im August sind beim Kanton die Biodirektzahlungen fürs nächste Jahr anzumelden. Dabei ist eine Kontrollstelle zu wählen. Wenn sie hier anrufen, haben sie oft noch ein paar zusätzliche Fragen. Daran merkt man schnell, ob sie schon gut informiert sind oder ein Biobetriebscheck hilfreich wäre. Dabei gehen wir rund zwei Stunden auf den Betrieb und klären offene Fragen.

Ich dachte, interessierte Betriebe würden sich zuerst bei Bio Suisse melden.

Das kann auch sein, das ist individuell. Dort müssen sie sich natürlich auch anmelden. Es ist aber nicht allen auf Anhieb klar, was ist Bio Suisse und was ist bio.inspecta. Häufig hört man, «die Bio kommt auf Kontrolle». Sie sprechen von «der Bio». Ist das jetzt «die Bio in Basel» oder «die Bio in Frick»?

Werden die neuen Regeln zum ausschliesslich inländischen Knospe-Futter für Wiederkäuer viele Anfragen auslösen?

Da werden sicher Anrufe kommen, sobald dieses Futter knapp werden sollte. Im Sinne von: «Wenn ich kein Futter mehr aus Österreich holen kann, was mache ich jetzt?» Da wird auch mal der Vorwurf mitkommen, die Regeln würden nicht taugen. Aber diese Diskussionen stoppen wir. Wir geben den Hinweis, sich bei den lokalen Händlern zu informieren, sich unter den Betrieben besser zu vernetzen, biomondo.ch zu nützen.

Je genauer die Richtlinien sind, umso gezielter können Sie Auskunft geben. Umgekehrt sind sie schon sehr umfangreich.

Ich denke, wer aus tiefer Überzeugung Bio macht, für den ist vieles zum Voraus klar: «Logisch verwende ich Biostroh, ich bin ja ein Biobetrieb.» Und dann gibt es Betriebe, die die Möglichkeiten ausloten und dabei ans Limit gehen.

Das ist ja zulässig, solange alle Richtlinien eingehalten sind. Aber wenn man nach Schlupflöchern sucht, müssen die Richtlinien diese wiederum stopfen.

Genau. Das ist das Schwierige. Dafür braucht es für möglichst jede Situation ausgefeilte Richtlinien und das macht sie so umfangreich.

Was machen Sie mit oft gestellten Fragen, damit die Bioberatung und die Kommunikation darauf Rücksicht nehmen?

Das melden wir vor allem an Bio Suisse, die ja die Richtlinien festlegt. Wir machen auch im eigenen Newsletter auf Neuerungen aufmerksam oder erinnern an bestimmte Vorgaben. Wie etwa letzten Frühling zur Bewilligungspraxis betreffend Zukauf konventioneller Tiere, die wurde bereits auf Anfang 2020 verschärft. Wir erhielten anfangs eine Flut von Gesuchen, 10 bis 15 pro Tag, die mehrheitlich nicht bewilligbar waren. Die Ablehnungen der Gesuche provozierten viel Unverständnis und weitere Nachfragen. Nach dieser Erinnerung legte sich das etwas.

Können Sie gleich nochmals erklären, was nicht bewilligbar ist?

Bis Ende 2019 galt eine 10-Prozent-Limite für konventionelle, ungekalbte Tiere. Auf zehn Kühe durfte man ein konventionelles Rind pro Jahr zukaufen. Seit 2020 ist das nicht mehr erlaubt. Jetzt braucht es dafür eine Ausnahmebewilligung. Und die gibt es nur, falls auf biomondo.ch kein Angebot besteht und bestimmte Voraussetzungen zwingend erfüllt sind. Es muss beispielsweise eine Nischenrasse sein wie Rätisches Grauvieh. Übrigens meine Lieblingsrasse (lacht).

Warum ist das Interesse an konventionellen Tieren gross?

Es gibt zu wenig Biotiere. Der Biomarkt konnte sich gar nicht entwickeln, da ja die 10-Prozent-Regel für konventionelle bestand.

Springen da nicht gleich Betriebe in die Marktlücke?

Doch, sicher, das gibt es. Das habe ich sogar schon an der Hotline erlebt. Während des Gesprächs hörte ich beinahe, wie es beim Gegenüber studierte und plötzlich war eine Geschäftsidee geboren: «Es braucht Aufzuchtplätze für Biorinder? Das wäre ein neuer Betriebszweig für uns.» Oder auf meine Auskunft, dass in der Schweiz keine Biotrutenküken erhältlich sind, wollte sich der Anrufer etwas überlegen. Daraus entstand im Toggenburg die erste Biotrutenzucht der Schweiz (siehe Bioaktuell 5|2021, ab S. 12). Solches macht dann riesig Freude.

Ich wollte gerade nach den guten Momenten an der Hotline fragen. Das sind also solche? 

Ja, ich gab nur eine Auskunft und doch setzte es etwas in Bewegung. Das sind Momente, in denen du wirklich helfen kannst. Sowieso sind die Leute meistens dankbar. Oft sagen sie, sie hätten ein Riesenproblem und kämen nicht mehr vorwärts. Wenn ich dann Schritt für Schritt aufzeigen kann, was zu tun ist, höre ich die Entspannung in der Stimme. Es ist ein gutes Gefühl, behilflich zu sein. Mein Herz schlägt für die Landwirtschaft und die Gespräche sind extrem bereichernd. Ich mache diese Arbeit sehr gerne.

Welches sind die schwierigen Momente? 

Wenn ein Schicksal dahinter ist. Wenn der Betriebsleiter verstorben ist und die Frau ruft an, sie wüssten nicht wo oben und unten ist und was zu tun sei. In solchen Fällen bietet dann unsere zuständige Regionalleiterin oder der Regionalleiter an, persönlich hinzugehen.

Was tun Sie, wenn eine Anfrage Not oder Missstände auf dem Hof vermuten lassen? 

Auch das gibt es. Ich versuche dann, die Vermutung direkt anzusprechen und empfehle den Kontakt zu entsprechenden Beratungsstellen. Ich gebe gleich die Telefonnummer oder schreibe eine E-Mail mit den relevanten Adressen. Ich will die Schwelle, sich Hilfe zu holen, möglichst tief halten. Aber die Verantwortung bleibt beim Betrieb. Wir können nur Auskunft geben, nicht beraten. Im Lockdown spürten wir übrigens das Bedürfnis des Gegenübers, zu reden.

Haben Sie Wünsche an die Anrufenden? 

Mir ist wichtig, dass sie wissen: Hier an der Hotline sitzen nicht lauter Dr. Dr., die noch nie eine Heugabel in der Hand hielten. Wir sind alle ausgebildete aktive oder ehemalige Landwirtinnen und Landwirte mit viel Praxiserfahrung in der Biolandwirtschaft. Und dass das Politische aussen vor bleiben kann. Beispielsweise verursachte die neue Bio-Suisse-Vorschrift, dass die Schwänze von Lämmern nur noch mit ärztlichem Attest kupiert werden dürfen, viel Ärger. Den kriegten wir auch an der Hotline zu hören. Wir aber sind eine strikt unabhängige Kontrollstelle und nicht für Politik zuständig, weder für Verbandspolitik noch beispielsweise für die Agrarinitiativen letzten Sommer.

Sie am «heissen Draht» sind die Richtigen für Auskünfte zu den Richtlinien, aber nicht für Diskussionen darüber. 

Genau. Wir sind weder Bio Suisse noch Demeter. Die Anrufenden hingegen schon. Als Mitglieder dieser Produzentenverbände können und sollen sie dort ihre Meinung aktiv einbringen.

Welchen Anspruch haben Sie selbst an Ihre Hotline? 

Ich selbst schätze es sehr, wenn ich am Telefon mit einer Auskunftsstelle nicht vom einem zur anderen verbunden werde, sondern mein Anliegen deponieren kann und dann bald eine solide Antwort erhalte. Diesen Service wollen wir auch bieten. Wir nehmen Fragen entgegen, wissen die Antwort sofort oder klären sie ab und antworten spätestens innert Tagesfrist. Uns anrufen soll einfach, effizient und angenehm sein. 

Interview: Stephanie Fuchs, Bioaktuell